Texte / Rezensionen

Bärenmädchen | Bear Girls

von Monika Osberghaus, Verlegerin, Klett Kinderbuch Verlag

Es gab mal eine Zeit, da haben alle John Irving gelesen, und es ging los mit dem „Hotel New Hampshire“. Sehr speziell darin, erinnert ihr euch: Suzie der Bär. Suzie, das Mädchen, das vergewaltigt wurde und seitdem in einem Bärenkostüm lebt. Und das eine sehr eigene, draufgängerische und zugleich spröde Art von Sexualität hat. Der Ich-Erzähler bei Irving ist fasziniert von ihr, ich war es auch. Und Ute Behrend auch.

Irgendetwas ist dran an der Verbindung Bär + Mädchen, etliche Urbilder und Märchen fallen einem dazu ein. Die Fotografin Ute Behrend versucht dieser Verbindung auf die Spur zu kommen, Suzie der Bär hat sie (unter anderem) drauf gebracht. Und sie definiert sie neu. Ihr Bildband ist zum Staunen. Dass man Mädchen auf der Schwelle zum Frau-Sein so fotografieren kann!

Noch einige Jahre vor der Zeit, in der alle John Irving lasen, sah man überall diese Bildbände und Poster von David Hamilton. Er war fotografisch immer auf der Suche nach Mädchen auf dieser Schwelle, tauchte sie in rosige Nebel, ließ viel Haut zwischen Pastellfarben schimmern. Wir Vierzehnjährigen hätten damals was drum gegeben, ihm Modell zu stehen, sahen aber nicht im Entferntesten danach aus.

Wir waren eher wie Ute Behrends Bärenmädchen. Diese Bilder könnten nicht weiter von Hamiltons Fantasien entfernt sein, fangen aber ein, wonach er wahrscheinlich mit seinen duftigen Weichzeichnern auch gesucht hat: erwachende Sexualität, Unsicherheit, Selbstbewusstsein, Wissen, Neugier, Trotz und Scheu, Lust und Angst. Selbstvergessenheit. Bei ihr ohne Filter, meist ohne Schminke. So, wie die Mädchen wollten.

Wie macht sie das? Sie umgibt ihre Mädchen mit einem Bären-Schutz (oder erinnert sie daran?). Text gibt es kaum, nur am Anfang eine kleine Geschichte mit der Erklärung, was das mit den Bären soll. Man frisst ihr das aus der Hand; dass es nicht stimmt, ist egal. Und am Ende ein dichtes Gespräch, das ihr Vorgehen verdeutlicht.

Vorher aber taucht man ein in den Fluss der Bilder: immer zwei und zwei, Paarungen aus Mädchen und Natur, meist etwas aus dem Wald, manchmal Tiere, manchmal Nahaufnahmen, Pelziges, Fedriges, Holziges, viel Grün und Braun, Lichtflecken und Dunkel. Je weiter ich im Buch blättere, desto genauer betrachte ich die Bildpaare, blättere wieder zurück und hin und her. Man kann lange nach Verbindungen, Mustern und Rhythmen suchen, man findet sie auch. Die nächste Betrachterin findet wahrscheinlich wieder ganz andere. Wenn man am Ende den großen Band zuschlägt, ist es, als käme man nach einer Wanderung durch einen üppigen Wald zurück in die normale Welt. Gestärkt.

Daneben sehen all diese modisch-korrekten Empowerment-Wilde-Mädchen-Starke-Mädchen-Bücher blass aus, lesen sich wie Zuckerwatte.

Foto: © Monika Osberghaus

Zurück