Texte / Rezensionen 2005 und Früher

Die Kraft des Zaubers | Kerstin Stremmel, April 2005

Kerstin Stremmel
Die Kraft des Zaubers

Märchen von Ute Behrend

Aus den alten Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat, stammen Erzählungen, deren Fundus kollektiver Bilder uns noch immer prägt. Mittlerweile gelten Märchen durchaus wieder als bildmächtige, pädagogisch weitgehend unbedenkliche Geschichten mit identifikatorischer Wirkung, die die Phantasie anregen und unter bestimmten Voraussetzungen befreiend wirken können.
Auf einfache Formeln lassen sich Ute Behrends Bilder nicht bringen, ihr geht es nicht um moralische Appelle oder die Illustration spezifischer Handlungsstrukturen. Stattdessen entsteht durch ihre Zusammenstellung von jeweils zwei Bildern ein verführerisches Spiel der Assoziationen. Dabei geht Behrend nicht historisierend vor, ihre Bilder simulieren keine ins Sentimentale gleitende, märchenhafte Vergangenheit: Die Mädchen, von der Fotografin mit besonderer Sensibilität erfasst, tragen glitzernde Polyesterkleider oder mit Blumen geschmückte Flip Flops, auf einer Torte steht ein Brautpaar aus Plastik, und in der Hand eines Kindes ist ein Ikea-Trinkbecher zu sehen. Zauber entsteht dennoch, wenn man vom Handtuch mit Rosenmotiv, mit Plastikklammern an einer Wäscheleine befestigt, über ein geknüpftes Rosenbild hin zu einem echten Rosenstrauch zu einem Mann mit einem Pressluftbohrer blättert. Alte Motive tauchen in neuen Zusammenhängen auf, man erinnert sich an die Rosenfülle um Dornröschens Schloss herum und die zum Scheitern verurteilten Versuche einer Befreiung durch rohe Kraft: Ein Bohrer kann tausendjährigen Schlaf nicht beenden. Alles kann Anlass für derart phantastische Assoziationsketten sein und erinnert an die beliebten Kinderspiele im Konjunktiv: "Ich wäre jetzt wohl ...und du würdest dann wohl..." – eine Erlösung der Prinzessin ist nicht ausgeschlossen.
Durch ihre Bilder, in denen auch klassische Märcheningredienzien wie Fliegenpilze, Waldlichtungen, Spinnräder, Bären und Rehe auftauchen, verabschiedet Behrend das Realitätsprinzip der Fotografie auf originelle Weise: Nichts ist nur was es scheint, die Fotografie ist zwar eine Spur des Dagewesenen, zugleich eröffnet sich ein Spiel mit Gesten und Erinnerungen weit über das hinaus, was vor der Kamera zu sehen war. Und all das geschieht ohne pompöse Inszenierungen, im Vertrauen auf ein Erinnerungsvermögen, das nicht nur im kindlichen Repertoire abrufbar ist. Es appelliert an Erfahrung, die beim Betrachten der Bilder körperlich spürbar wird: das Gefühl kopfüber zu hängen, während man sicher gehalten wird, Unbehagen beim Durchstreifen dichten Gebüschs, der Geschmack der Walderdbeeren, die direkt neben gefährlichen Fliegenpilzen zu sehen sind, alles kann Anlass für Geschichten werden, die sich an Details entspinnen. Leitmotivisch scheint das mit dem ersten Bild eingeleitet zu werden, der älteren Dame mit dem kleinen Mädchen am Spinnrad,
Die Magie der Bilder entsteht durch dieses Beiläufige, fast wie im Gehen Gemachte, bei dem mit jedem Schritt Geheimnisse entdeckt und, in einer gewissen Komplizenschaft mit dem Betrachter, gewahrt werden. Vielleicht kann aus Stroh ja tatsächlich Gold gesponnen werden, ganz so wirkt es jedenfalls auf Behrends Bildern, angesichts deren man sich bei der Überlegung ertappt, ob man nicht versuchsweise einen Frosch an die Wand werfen sollte. Keine schlechte Idee auch, noch mal rote Glitzerschuhe überzustreifen, auf etwaige Zeichen zu achten und die Erinnerung an Heimlichkeiten und Gefahren, Abenteuer und Erlösung zu bewahren. In den Fotografien ist diese Erinnerung aufgehoben und will nicht entzaubert werden.

Kerstin Stremmel, April 2005

Dr. Barbara Engelbach | Ute Behrend – Märchen | Toyota-Fotokunstpreis 2004

Dr. Barbara Engelbach
Ute Behrend – Märchen

Präsentation anlässlich des Toyota-Fotokunstpreises 2004

"Märchen sind mehr als Kindergeschichten ... Sie entfalten grundsätzliche Wahrheiten und Weisheiten. Wenn es ein kollektives Unbewusstes gibt, so sind Märchen sicherlich dort fest verankert und wer bereit ist, sich auf sie einzulassen, kann sie überall finden – wohlwissend, dass alles immer gut ausgehen wird." U.B.

Die Kölner Künstlerin Ute Behrend, geboren 1961 in Berlin, hat 2004 den alle zwei Jahre verliehenen Toyota-Fotokunstpreis erhalten. Sie konnte die Jury mit ihren Künstlerbüchern überzeugen, von denen bereits der Band "Girls, Some Boys and Other Cookies" im Scalo-Verlag veröffentlicht ist und nun das Fotobuch "Märchen" im Verlag der Buchhandlung Walther König erscheint. "Märchen" ist auch die Präsentation im Museum Ludwig betitelt, für die Ute Behrend eine Auswahl von etwa 30 Fotografien aus der gleichnamigen Reihe traf.

Ob das tapfere Schneiderlein, seine Mitmenschen beeindruckt, weil diese annehmen, dass "Sieben auf einem Streich" sich auf ausgewachsene Männer und nicht auf Fliegen bezieht, oder ob die Froschkönigin ihren Ekel überwindet und dem kalten glitschigen Reptil einen Kuss gibt – mit diesen bekannten Märchen sind Bilder verbunden, die jeder erinnert. Häufig sind es gerade die einfachen Erzählstrukturen der Märchen, die eine tiefere Weisheit erahnen lassen, welche bis heute Kulturwissenschaftler, Philosophen, Psychoanalytiker und Theologen beschäftigt. Solche Bilder sind jedoch in Ute Behrends Märchenbuch nicht zu finden. Ihre Fotografien illustrieren nicht Märchen, vielmehr greift die Künstlerin Märchenthemen auf, um neue Bilder zu (er)finden und diesen einen eigenen Assoziationsraum zu eröffnen.

Das Märchen der Froschkönigin erscheint zum Beispiel als Hand mit abgespreizten Fingern, bedeckt von einer grünglänzenden, glitischigen Farbmasse. Dieser Fotografie ist eine weitere gegenübergestellt, auf der zwei Mädchen in rosafarbenen Prinzessinnenkleidern zu sehen sind. Die eine hat ihren Rücken zur Kamera gekehrt, die andere ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Allusionen an das Märchen werden wachgerufen, ohne dass sich die Fotografien in einer linearen Erzählung auflösen ließen. Häufig findet Behrend ihre Motive im vertrauten Umfeld der Familie und des Freundeskreises, seltener bittet die Künstlerin Fremde, sie fotografieren zu dürfen. Alle Fotografien vermitteln eine Direktheit – nicht zuletzt über den unverwandten Blick der Porträtierten in die Kamera – , die die Frage unerheblich macht, ob es sich um gestellte oder gefundene Situationen handelt. Wie ihre Vorbilder, zum Beispiel Sally Mann, mit der sie das Interesse an Fotografien von Kindern teilt, Diane Arbus, deren Entdeckungen des Besonderen im Alltäglichen und der Verwandlung des Skurrilen zum Normalen auch in Behrends Fotografien zu finden sind, und Gary Winogrand, mit dem sie die Lust, im Flüchtigen das Allgemeingültige festzuhalten, teilt – wie diese setzt auch Ute Behrend auf die Evidenz des fotografischen Bildes.

Zugleich hat sich Ute Behrend eine eigenständige Position entwickelt, weil sie konsequent mit Bildpaaren arbeitet. Ihre Absage an das Einzelbild unterscheidet sich von Fotoreihen oder fotografische Sequenzen, für die die Auswahl der Bilder jederzeit neu zusammengestellt werden könnten oder in denen die Fotografie dem Film angenähert werden. Behrend legt ihre Bildpaare fest und behält sie in Publikationen und Ausstellungen bei. Als solche sind die Fotografien einander visuelles Echo oder Widerpart: Korrespondenzen und Gegensätze, inhaltliche wie formale Bezüge sind zu entdecken. Das visuelle Assoziationsvermögen wird gefordert, das den Sprachsystemen vorausgeht. Damit ermöglicht Ute Behrend ihren Bildpaaren einen emotionalen Resonanzboden, ohne dass sich verbalisieren ließe, wie Gefühle von Berührtsein oder Unbehagen in den Fotografien verankert sind. Das spannungsvolle Verhältnis der fotografierten Alltagssituationen einerseits zu den außerzeitlichen Erzählungen und Märchen, auf die Ute Behrend sich andererseits bezieht, wird in den aufgerufenen Assoziationen bewahrt – als ebenfalls einer Erkenntnis, die sich der Erfahrung und der Erinnerung verdankt und dem Bewußtsein entzieht.

Dr. Barbara Engelbach, Juni 2005

Neue Märchen und Zimmerpflanzen | Dennis Brudna | "Photnews" Juli/August 2004

"Photnews" Juli/August 2004
Neue Märchen und Zimmerpflanzen
Sabina Schmidt Galerie, Köln
05.06.-04.9.2004

von Dennis Brudna

Märchen sind kein wirkliches Tagesthema. Für Hexen, Kobolde, Prinzessinnen allerlei Fabelgetier ist außerhalb des Reservates einer kindlich naiven Seelenwelt nur wenig Platz. Obgleich sie häufig als alltagsdienliche Allegorien und weisheitgesättigte Erfahrungssedimente wissenschaftlich aufgewertet werden, kommen sie gegen die märchenhaft verworrene Wirklichkeit nicht an. Ein Marketing - Problem-. Denn die, die uns täglich via Medien und realpolitischen Kleinkunstbühnen mit moderne "Märchen" versorgen, verfügen offensichtlich über weit raffinierter Erzählweisen als die naiv aufrechte Märchenwelt mit ihren überschaubaren Gleichungen zwischen Gut und Böse, Moralisch und Unmoralisch oder Hässlich und Schön.
Obgleich Ute Behrend gerne Geschichten erzählt, ist sie dennoch keine typische Märchentante, die sich damit begnügt, mit Hilfe ihrer Fotografien die heile Märchenwelt nachzuzeichnen. Ihr Konzept, bestimmt von Parallelitäten und grenzenloser Phantasie im Umgang mit visuellen Fundstücken, ist vielmehr eine anregende Einladung, in ein real-irreales Märchen, das nicht zwingend als Gutenachtgeschichte fungiert. Angelehnt an die Symbolik der bekannten Märchen sucht Ute Behrend auf ihren Wanderungen durch die visuelle Wunderwelt einerseits nach der typischen Romantik des tiefen Waldes, fixiert alle vorgefundenen Klischees und Assoziationen, ist aber als sensible Beobachterin zugleich in der Lage, die süßliche Märchenwelt zu öffnen und mit der realen Welt zu konfrontieren. Die entstandenen Paarungen, mit denen Ute Behrend ihre Geschichten kurzweilig erzählt, pendeln zwischen klar erkennbarer Symbolik der bekannten Märchengeschichten - mit Prinzessinnen und Prinzen, Rosenbüschen, Fröschen oder dem Wolf, als Inkarnation des Bösen, des Bedrohlichen - und einer intelektuellen, gelegentlich kryptisch anmutenden Subebene, mit aus der profanen Welt entliehenen Zeichen und Symbole, aus deren Mischung oft ein neuer, interessanter Kontext entsteht. In einem ausbalancierten Spiel aus Sein und Schein und den vom Betrachter beigesteuerten Assoziationen entsteht somit eine beeindruckend dichte Erzählung voll überraschender Momente.
Ute Behrend, geb.1961 in Berlin, ist über Jahre ihrem Konzept der Paarung von Bildern treu geblieben. Entstanden sind u.a. die Zyklen "Girls, Some Boys and Other Cookies" (1996, als Buch bei Scalo erschienen) sowie "Zimmerpflanzen" und "Märchenwelt" (2003 parallel produziert). Bei allen bisherigen Arbeitenf ällt der routinierte und phantasievolle Umgang mit teilweise inhaltlich wie formal konträrem Bildmaterial auf, das Ute Behrend jeweils über längere Zeit fotografiert, sammelt und im aufwändigen Prozess zusammenführt.

Dennis Brudna "Photnews" Juli/August 2004

dem Engel auf der Spur | Josefine Raab, Nassauischer Kunstverein

Katalogtext
dem Engel auf der Spur
Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden 2003

Was haben "Astronauten " im Rhein mit einer unter einer Palme zerborstenen Lampe zu tun?
Und was eine schlafende Partygängerin neben einer Wiese mit blühendem Wollgrass? Zunächst einmal gar nichts. Es entspricht jedoch der künstlerischen Vorgehensweise von Ute Behrend, völlig voneinander unabhängiges Bildmaterial in sorgfältig ausgewählte Bildkombinationen zu fügen. In diesen dialogischen Kompositionen treten Geschichten ans Licht, die ausschließlich aus der imaginären Vorstellungswelt der Künstlerin geboren sind. Sie gerät dabei zu einer Spurenlegerin, deren fiktive Bilderzählung wiederum zum Schlüssel wird für die Vorstellungskraft des Betrachters. Wir werden in einen Erzählraum gelockt, der jenseits des sichtbar Dargestellten eine eigene Poesie und Sprache entfaltet. Der fotografische Duktus ist dokumentarisch. Erlebte Szenen, gefundene, nicht gestellte Motive werden schnappschussartig auf Zelluloid gebannt. Aus diesem Bilderschatz komponiert Ute Behrend ihre endgültigen Werke, in denen sich nicht selten Bekanntes, an sich Unspektakuläres paart und zu erstaunlichen, oft auch humorvollen Zusammenstellungen vermählt. Wurden wir in den Fotografien von Cindy Sherman und Wolfgang Tillmanns zu Voyeuren einer dem "Normalbürger" gemeinhin verschlossenen Gesellschaft, so sind wir hier grundsätzlich Reilhabende an jener Welt, in der Ute Behrend ihre Motive rekurriert. Brüche manifestieren sich in der fragmentierten Erzählweise ihrer Werke, die korrespondieren mit der Lebenserfahrung einer Generation, deren Sichtweisen durch Massenmedien, Globalisierung und Popkultur geprägt sind. Moderne Märchen, keine linearen Geschichten werden hier erzählt, augenzwinkernd und mit einem ausgeprägten Sinn für die assoziative Kraft der Bilder. In Behrends Arbeiten blitzt jene Erfahrungsmöglichkeit auf, die auf eine andere Sinnebene verweist als die rein faktische Lesbarkeit der abgebildeten Realität. Ihre Arbeiten sind ein Aufforderung an uns, diese Welt zu betreten.

Josefine Raab, Nassauischer Kunstverein

Silke Hohmann, Frankfurter Rundschau, 13.7.02

… Um gute Geschichten zu erzählen, braucht man ein vielseitiges Vokabular und ein gutes Gespür für den spannendsten Augenblick. Die Fotografin Ute Behrend ist eine Geschichtenerzählerin, nur daß sie an Stelle von Worten die Kamera benutzt. Dabei nimmt sie nicht einfach nur irgendwelche erzählerischen Momente auf, sondern sie stellt sich am Anfang jeder neuen Serie selbst ein Thema. An dem forscht sie dann lange Zeit herum, recherchiert und sucht passende Bilder dazu ……

Silke Hohmann, Frankfurter Rundschau, 13.7.02

Photo News 7/02 zur Asstellung "Heimat" im Kunsthaus Dresden

… Ihr assoziativer Grundgestzs findet scheinbar eine Fortstzung in der Serie "Märchen.Fairy Tales" von Ute Behrend. Sie stellt Bildpaare vor, die auf die kindliche Phantasiewelt zurückweisen, an geträumte und erinnerte Szenerien aus allseits bekannten Märchen anknüpfen. Die hinzugestellten, im weitesten Sinne porträthaften Aufnahmen verstärken den Aspekt von Unglück und Verlorenheit, der in den Märchenszenerien vorherrscht: Reminiszenzen an keineswegs idyllische Verhältnisse und angsterfüllt kindliche Erlebnisse, die retrospektiv zumeist von Erinnerungen an familäre Behausungen und Geborgenheit überdeckt werden …

Photo News 7/02 zur Asstellung "Heimat" im Kunsthaus Dresden

"Kunst macht Schule" | Saarbrücken 03/2002

Katalogtext
"Kunst macht Schule"
Ein projekt der Staatskanzlei des Saarlandes - Stabstelle Kultur
Saarbrücken 03/2002
Assoziative Fotgrafie

Im Unterschied zum gemalten Bild wird einem Foto meist ein höheres Mass an Authentizität und Dokumentation zugewiesen, da es vorgibt, einen Ausschnitt der Realität wiederzugeben. Stärker als die Malerei, die deutet, scheint die fotografische Darstellung neutral zu berichten. Für Ute Behrend ist die Fotografie dagegen in erster Linie ein erzählendes Medium. In ihren Fotoarbeiten entstehen "Erzählungen" dadurch, dass 2 Bilder in einen Dialog miteinander gebracht werden. Behrend stellt im Foto festgehaltene Realitätsausschnitte mit einem sensiblen Blick für aussagefähige Bezüge negeneinander. Ihre Aufnahmen, die sich durch intensive Farbigkeit und ausgeprägte Lichtkontraste auszeichnen, zeigen Menschen, meist Mädchen, Frauen, Kinder, Natur oder auch banale Dinge der alltäglichen Lebenswelt in beiläufig wirkenden Situationen. Indem Behrend auf den ersten Blick unzusammenhängende Bilder gezielt miteinander kombiniert, erreicht sie einen irritierenden, häufig auch ironischen Kommentar, der neue Assoziationen freisetzt.

Vera Gliem

Märchenwelt | Wolfgang Vollmer/Camera Austria 70/2000

Märchenwelt
Sabina Schmidt Galerie, Köln
5.11.1999-29.2.2000

Wolfgang Vollmer/Camera Austria 70/2000

"Märchen und Zimmerpflanzen" ist der Titel der aktuellen Ausstellung von Ute Behrend bei der Sabine Schmidt Galerie in Köln. Was hat Hans im Glück mit einem Gummibaum zu tun? Der ungewöhnliche Titel verweist auf zwei Positionen unseres Lebensraums. "Märchen" steht wohl für die vergangene und erträumte Welt voller Erinnerungen, vielleicht den mentalen Rucksack, mit dem wir uns auf unserem Weg in die Zukunft auseinandersetzen müssen. "Zimmerpflanzen" scheint dagegen für die von uns erschaffene eigene Wohnwelt, voller Privatheiten, begrenzt und intim zu stehen. Der Rückzug hier her ist die Wiederholung unserer mitgebrachten Wünsche auf anderer und selbstbestimmterer Ebene. Die notwendige Distanzierung zur Aussenwelt erlaubt nun die Realisierung einer eigenen Wohnwelt-Ausschmückung.
Diese mit direkter Emotion geformte Sichtweise der Dinge ist in Ute Behrends Bildern immer wieder Thema: Der aufregende Werdegang eines Mädchens vom Kind zur Frau oder die unverblümte Rolle der selbstbewussten Messe-Damen für Erotik (siehe: Girls,some boys and other cookies, Scalo sowie Camera Austrie 64 S.93). Jedesmal sind ihre Arbeiten geprägt vom direkten Miterleben und von der Suche nach dem Gehalt dahinter. Sie spürt mit einer eigenen Formensprache Orte und Zeichen auf, sucht Signale und scheinbare Zufälligkeiten. Die Fotografin hat für ihre Kunst eine Form gefunden, die dem Medium und ihrer Intention ideal entspricht.
Jede Arbeit besteht aus zwei gleichgrossen Fotos, und der Betrachter kann gar nicht anders und beginnt zwischen diesen beiden Bildern hin und herzupendeln, Verbindungen herzustellen und Vergleichbares zu suchen. Das Entdecken dieser hinter dem ersten Anschein liegenden Bedeutungsebene ist nicht vorgegeben und festgelegt, sondern bleibt offen.
Ute Behrends Arbeiten sind mit privater Kamera aufgenommene Szenen, Details des täglichen Lebens: Personen, Kinder, Pflanzen, Haushaltsgegenstände und Möbel. Der Blick ist liebevoll emotional und subjektiv. Die beiden Fotografien lösen etwas aus, das auch unsere Erinnerung wach werden lässt.Ein Vorhang, ein Teppich ruft zeiten, Geschehnisse und Erinnerungen unserer Jugend wach. Und es stellen sich nicht nur Erlebnisse vergangener Tage ein, sondern auch die damaligen Wünsche und Vorstellungen über unsere Zukunft, der naive verträumte Blick aus einem behüteten Umfeld heraus mit Illusionen und märchenhaften Idealen.
Ute Behrends Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte scheint exemplarisch zu sein. Ein Flokati ist eben nicht nur ein Fussbodenbelag der Siebziger! In einer eigenen Sprache erzählen ihre Bildpaare von den erfolglosen Versuchen, den Ballst der Erinnerungen abzuschütteln und den Stimmungen der Vergangenheit zu entfliehen. Sie fordern auf diesen Traum weiterzuträumen und zu akzeptieren, Ute Behrend gelingt hier ein romantischer Exkurs in die tiefgründigen Landschaften unserer Gedanken und Gefühle.

Stadt Revue 1/00 | "Märchen und Zimmerpflanzen"

… ein bisschen fühlt man sich wie Gulliver, in einer Bildwelt zwischen Traum und Wirklichkeit, Künstlichkeit und Realität. Fehlt nur noch, dass die gute Fee mit den drei Wünschen vorbeirauscht …

Stadt Revue 1/00 zur Ausstellung "Märchen und Zimmerpflanzen",
Sabine Schmidt Galerie, Köln

Paolo Bianchi | Pubertät der Ästhetik | Kunstforum Bd. 135 Okt. 96-Jan.97

… Stein führte ein Frauenleben par excellence, indem sie ihre Kindhaftigkeit bewahrte. Sie trug rustikale Sandalen und keine fürchterlichen Kampfstiefel a la Tank Girls. Die junge Kölner Fotografin Ute Behrend ist jedoch überzeugt, daß "mutige Mädchen vernünftige Schuhe brauchen, damit sie abhauen können, wenn es gefährlich wird". Allein dieser und nur dieser Satz ziehrt ihren Fotoband "Girls some boys and other cookies": Eine lebensnahe und unpretentiöse Bestandsaufnahme des weiblichen Erwachsenwerdens in den neunzigern. Der Satz ist auf eine Fotografie gedruckt, die nicht Dornröschen , sondern eine vollbusige Frau im engen, weißen Partykleid zeigt, ihre in Nylonstrümpfe gehüllten Beine enden in weißen Stöckelschuhen. Abhauen als Stolperparcours? Nicht erst seit Thelma und Louise ist das ein Frauenthema.
Girls: Ein fotografietaugliches Leben, das nach poetischen, lieblichen und bunten Bildern von kleinen "Prinzessinen" und sexuell noch unreifen Frauen schreit, garniert mit Tieren, Blumen und anderem Tand. Behrend thematisiert ganz direkt diesen von konventionen und Klischees befrachteten weiblichen Alltag. Die Bilderabfolge thematisiert denn auch den Übergang von den kindlichen Freiheiten zur Determiniertheit der Rolle als Frau. Sammlungen von benutzten Tampons, wie dies feministische Bad Girls genüßlich präsentieren würden, bleiben einem erspart. Kultivierte Rollenmodelle geraten jedoch dennoch ins Wanken. In den Fotos schimmert keine Aufklärung oder Psychologie durch, vielmehr wird die Welt aus der Froschperspektive angeschaut: nicht wie sie sein sollte und leider nicht ist, sondern wie sie erlitten und erlebt wird, nämlich schräg.
Ute Behrends Bucherstling ist ein fotografischer Glücksfall. Ein Buch, das das poetische Gesetz, nach dem das Schwere leicht zu machen sei und das Wichtigste nur nebenbei verhandelt werden darf, auf den Kopf stellt: Das kleine und gewöhnliche wird lebensgross. Wenn die Mädchen in diesem Buch eine eigene Gestalt annehmen, dann mag das mit der Gefühlskindlichkeit der Fotografin zu tun haben. Behrend kann die emotionalen Grössenverhältnisse von unten wahrnehmen, und sie beherrscht die seltene Kunst, Kindern auf Kniehöhe zu begegnen und nicht von oben herab.
Das Buch bringt das ästhetische Gleich-Gewicht vom Blick in die Wolken und vom spielenden Mädchen , vom Rehlein im Schneewald,und von der unscharfen Barbiepuppe, von umgeschnallten Plastikbrüsten und an Türklinken hängenden Babyschnullern sowohl authentisch wie auch sentimental, sowohl unmittelbar wie auch poetisch in eine kluge Balance. Linkes und rechtes Motiv stehen auf einer Doppelseite nicht in einem abstrakten oder gar sinnlosen Zusammenhang, sondern vermischen sich zu sorgsam codierten Bildpaaren. Keine Muttertagsfotografie. Keine rosarote Babywelt. Kein feministischer Bildersturm. It`s a girls world! …

Paolo Bianchi, Pubertät der Ästhetik, Assoziationen im Spiegel von Kindheit, Selbstsubversion, Techno und Familie, Kunstforum Bd. 135 Okt. 96-Jan.97

"Girls, some boys and other cookies" | Martin Zitzlaff, Kölner Stadtanzeiger 24/25.8.96

..."Girls, some boys and other cookies" ist ein kurzweiliger und immerwieder überraschender Gegenentwurf zur vorherrschenden, medial aufgeschäumten Heiterkeit, die unsere Sichtweise auf das Leben, die Liebe, die Welt diktiert...

Martin Zitzlaff, Kölner Stadtanzeiger 24/25.8.96

Märchen | Andreas Langen, Die Woche 12.7.96

… ein buntes Bilderbuch über Mädchen, das fast zur Hälfte mit träumerischen Blüten bestückt ist, läßt billigen Kitsch befürchten. Die Kölner Fotografin Ute Behrend jedoch macht aus der abgedroschenen Metapher lebensprallen Realismus. Girlies und Vamps, Märchenprinzessinen und Rotzgören spielen knutschen und zeigen sich auf Schnappschüssen, deren Buntheit in exakter Laborarbeit gesteuert wird. So sehen wir in den schönsten Farben auf der letzten Seite den sprichwörtliche Hahn im Korb: hier ein hilfloses Gummitier, dem der Schnabel mit einem Sektkorken gestopft wurde – etwa von einem Mädchen? …

Andreas Langen, Die Woche 12.7.96

Matthias Lange, Pakt 3/96

… diese Paarung von Ereigniss und Banalität erscheint vollkommen selbstsicher, ihre Ansammlung ist nicht beliebig, ihre "Dekonstruktion" von Öffentlichkeit nicht konzeptionell überlastet.Wenn man so will, eine ausschnittartige Korrespondenz von Leben und medial geprägter Öffentlichkeit, von Alltag und den kurzen Momenten, die in der Art wohl nur von der Fotografie übertragen werden können. Klug gesehen, richtig konzipiert und mittels aufgeladener Ästhetik und reduzierter Zitattechnik intelligent zusammengesetzt wirken die Bilder sehr überzeugend …

Matthias Lange, Pakt 3/96

Märchen | Photo News 7/02 zur Asstellung "Heimat" im Kunsthaus Dresden

… Ihr assoziatives Grundgesetz findet scheinbar eine Fortsetzung in der Serie "Märchen.Fairy Tales" von Ute Behrend. Sie stellt Bildpaare vor, die auf die kindliche Phantasiewelt zurückweisen, an geträumte und erinnerte Szenerien aus allseits bekannten Märchen anknüpfen. Die hinzugestellten, im weitesten Sinne portraithaften Aufnahmen verstärken den Aspekt von Unglück und Verlorenheit, der in den Märchenszenerien vorherrscht: Reminiszenzen an keineswegs idyllische Verhältnisse und angsterfüllt kindliche Erlebnisse, die retrospektiv zumeist von Erinnerungen an familäre Behausungen und Geborgenheit überdeckt werden …

Photo News 7/02 zur Asstellung "Heimat" im Kunsthaus Dresden

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